16.12.2014
§ 55 Abs. 4 InsO: Umsatzsteuer bei Forderungseinzug im Eröffnungsverfahren
Vorsteuerabzug im Eröffnungsverfahren, Berichtigung von Steuer und Vorsteuer wegen Uneinbringlichkeit der Entgelte
BFH, Urt. v. 24.09.2014 - V R 48/13
Amtlicher Leitsatz:
- Verbindlichkeiten werden nach § 55 Abs. 4 InsO nur im Rahmen der für den vorläufigen Verwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse begründet. Für umsatzsteuerrechtliche Verbindlichkeiten ist dabei auf die Entgeltvereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter abzustellen.
- Bestellt das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit Recht zum Forderungserlass, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug für die Leistungen, die der Unternehmer bis zur Verwalterbestellung erbracht oder bezogen hat, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berichtigen. Gleiches gilt für den Steuerbetrag und den Vorsteuerabzug aus Leistungen, die das Unternehmen danach bis zum Abschluss des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbringt oder bezieht.
Kurzsachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer KG. Nach dem Eröffnungsantrag bestellte das Insolvenzgericht ihn zum vorläufigen Verwalter, ordnete einen Zustimmungsvorbehalt an, verbot den Drittschuldnern an die Schuldnerin zu zahlen und ermächtigte den Kläger zum Forderungserlass. Im Verlaufe des Vorverfahrens konnte der Kläger einen großen Teil der offenen Forderungen bei Drittschuldnern einziehen. Das FA setzte die anfallende Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO fest. Ob die Schuldnerin nach vereinbarten oder vereinnahmten Entgelten versteuert, lässt sich weder dem BFH- noch dem FG-Urteil entnehmen.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg, auf die Revision hebt der BFH auf und verweist zur neuerlichen Berechnung der Steuerschuld unter Beachtung seiner Auffassung zurück.
Kernaussagen:
- § 55 Abs. 4 InsO dient dazu, die nach § 55 Abs. 1 und 2 InsO bestehenden Tatbestände zu erweitern. Dies steht aber unter dem Vorbehalt, dass hierfür die für den vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse zu berücksichtigen sind.
- Der BFH hält das BMF-Schreiben vom 17.01.2012, BStBl I 2012,120, unter Rz. 11 insoweit für unzutreffend, als es sich lediglich auf die zeitliche Verbindlichkeitsbegründung "nach der Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters" beschränke. Zudem sei das dortige abstellen auf einen ausdrücklichen Widerspruch des Verwalters zur Vermeidung von Masseverbindlichkeiten rechtsfehlerhaft. Die Annahme einer "tatsächlichen Zustimmung" im BMF-Schreiben führe zu nicht nachprüfbaren Unterstellungen.
- 1. Weil es für die Begründung von Masseverbindlichkeiten nach Paragraph 55 Abs. 4 InsO auf die rechtlichen Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters ankommt (oben 1.), ist bei der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten ebenso wie bei der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten auf die Entgeltvereinnahmung, nicht aber auf die Leistungserbringung abzustellen.
2. Ist der vorläufige Insolvenzverwalter zum Forderungserlass ermächtigt, erfolgt dieser innerhalb der rechtlichen Befugnisse des Verwalters und kann hinsichtlich der Umsatzsteuer zu Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO führen. Ob dies aus dem Zustimmungsvorbehalt isoliert abzuleiten wäre, bleibt offen.
- Aufgrund der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit Recht zum Forderungserlass werden die noch ausstehenden Entgelte für zuvor erbrachte Leistungen uneinbringlich. Die Steuer ist nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen. Das gilt auch für sicherungszedierte Forderungen, zu deren Einzug der vorläufige Verwalter vom Gericht ermächtigt wurde.
1. Der BFH überträgt seine Rechtsprechung zum Forderungserlass im eröffneten Verfahren (BFH, Urteil vom 09.12.2010 - VR 22/10, BFH, Urteil vom 24.11.2011 - VR 13/11) unter den dargestellten Voraussetzungen auf das Vorverfahren.
2. Zu berichtigen sind in diesem Fall Steuer und Vorsteuerabzug (zu letzterem BFH, Urteil vom 08.08.2013 - VR 18/13, BFH, Urteil vom 03.07.2014 - VR 32/13).
3. Uneinbringlich werden auch die Entgelte für die Leistungen, die der Unternehmer nach Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und Recht zu Forderungserlass bis zur Beendigung des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbringt oder bezieht. Für eine differenzierende Betrachtung nach den Leistungen, die das Unternehmen vor der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters erbringt oder bezieht und den Leistungen, die das Unternehmen nach dessen Bestellung bis zur Beendigung des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbringt oder bezieht, besteht insbesondere unter Berücksichtigung der insolvenzrechtlichen Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters kein sachlicher Rechtfertigungsgrund.
Dies soll wohl heißen, dass die Entgelte für Leistungen des Schuldners im Eröffnungsverfahren unmittelbar mit der Leistungserbringung für diesen uneinbringlich werden, weil nur der vorläufige Verwalter sie einziehen darf.
4. Nach dem Forderungserlass durch den vorläufigen Verwalter ist die Steuer erneut zu berichtigen, § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG. Dem steht nicht entgegen, dass beide Berichtigungen gegebenenfalls im selben Voranmeldungs-oder Besteuerungszeitraum zusammentreffen (BFH, Urteil vom 24.10.2013 - VR 31/12).
5. Durch den vorläufigen Insolvenzverwalter veranlasste Zahlungen von Entgelten aus vor oder nach seiner Bestellung bezogenen Leistungen veranlassen zu einer zweiten Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG, der die nach § 55 Abs. 4 InsO begründeten Masseverbindlichkeiten mindert.
6. Diese Grundsätze verstoßen nicht gegen Art. 90 MwStSystRL.
- Bei der Aufteilung des Steueranspruchs für den Voranmeldungszeitraum in Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit ist zu beachten, dass sich für einen Bereich ein Vergütungsbetrag ergeben kann, der durch eine Verbindlichkeit im anderen Bereich ausgeglichen wird. Die Summe der Aufteilungsbeträge muss allerdings der sich für den Voranmeldungszeitraum ergebenden Steuerschuld entsprechend (BFH, Urteil vom 09.12.2012-VR 22/10).
- Bei der Berechnung der Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO nicht zu berücksichtigen sind Berichtigungsansprüche, die wie zum Beispiel § 15a UStG auf anderen Umständen als dem Forderungserlass oder der Zahlung beruhen. Ebenso nicht Entgelte, die erst der Insolvenzverwalter nach Insolvenzeröffnung für Leistungen vereinnahmt, die das Unternehmen während des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbracht hat. Die dann mit der Vereinnahmung vorzunehmende zweite Steuerberichtigung führt zu einer Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
- Das FA ist berechtigt, die Steuer nach § 55 Abs. 4 InsO nach der Insolvenzeröffnung durch Steuerbescheid festzusetzen, auch wenn für denselben Voranmeldungszeitraum bereits vor der Insolvenzeröffnung ein Vorauszahlungsbescheid vorlag, der sich gemäß § 168 Satz 1 AO auch aus einer Steueranmeldung ergeben kann, der einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht.
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