03.08.2016
Insolvenzanfechtung, unmittelbare Gläubigerbenachteiligung, zur Maßgeblichkeit des Verkehrswerts oder des in der Zwangsvollstreckung erzielbaren Werts eines veräußerten oder belasteten Grundstücks für die Gläubigerbenachteiligung
BGH, Urt. v. 09.06.2016 - IX ZR 153/15
Amtlicher Leitsatz:
Im Bereich der Insolvenzanfechtung richtet sich die Beurteilun, ob die Veräußerung eines mit Grundpfandrechen belasteten Grundstücks oder seine zusätzliche dingliche Belastung eine Gläubigerbenachteiligung auslöst, nur dann nach dem bei einer freihändigen Veräußerung des Grundstücks zu erzielenden Erlös, wenn der Insolvenzverwalter zueiner freihändigen Veräußerung rechtlich in der Lage ist. Fehlt dem Insolvenzverwalter die Befugnis zu einer freihändigen Veräußerung, weil der für den Eintritt der Gläubigerbenachteiliung maßgebliche Zeitpunkt vor der Verfahrenseröffnung liegt oder einer freihändigen Verwertung die von einem dinglichen Gläubiger betriebene Zwangsvollstreckung entgegensteht, ist der in einer Zwangsversteigerung zu erwartende Erlös maßgeblich.
Kurzsachverhalt:
Die beklagte Ehefrau des Schuldners hatte diesem nach ihrem vom Insolvenzverwalter bestrittenen Vortrag in mehreren Teilbeträgen Darlehen über 60 T€ gewährt.
29.10.2010:
Nachträgliche Bewilligung einer Sicherungshypothek über 60 T€ zugunsten der Beklagten, damals noch mit dem Schuldner verlobt, am Grundstück des Schuldners.
09.11.2010:
Eintragung der Hypothek. Vorrangig Grundschuld über 115 T€ und drei Grundschulden über insgesamt 120 T€. Letztere valutieren am 28.11.2011 noch mit 75 T€.
04.10.2011:
FA beantragt wegen 92 T€ Steuerschulden die Zwangsversteigerung des Grundstücks.
22.06.2011:
Insolvenzantrag.
31.10.2011:
Verfahrenseröffnung.
20.08.2012:
Beklagte tritt Versteigerung bei. Vom AG eingeholtes Verkehrswertgutachen endet mit 210 T€.
11.03.2013:
Beklagte erhält Zuschlag bei zu berichtigendem Betrag von 142 T€. Die vorrangigen Grundpfandrechte bleiben bestehen. Nach Teilungsplan erhält Beklagte 60 T€.
Kläger verfolgt mit der Klage seinen Widerspruch gegen den Teilungsplan.
LG weist Klage ab, OLG gibt ihr nach §§ 133 Abs. 2, 143 InsO statt, die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO prüft das OLG konsequenterweise nicht. Mit der - lehrbuchartigen, sehr lesenswerten Entscheidung - hebt der BGH auf und verweist zurück.
Kernaussagen:
- Der Ehegatte des Schuldners ist nach dem Wortlaut des § 138 Abs. 1 Nr.1 InsO eine nahestehende Person, auch wenn die Ehe - wie hier - erst nach Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung geschlossen wurde.
2.1 Der Vertragsbegriff des § 133 Abs. 2 InsO ist weit auszulegen. Hierfür genügt jeder auf einer Willensübereinstimmung beruhende Erwerbsvorgang. Erfasst werden nicht nur schuldrechtliche, sondern auch sachenrechtliche Abkommen wie Grundstücksübertragungen und Grundpfandrechtbestellungen, auch reine Erfüllungsgeschäfte.
2.2 Die nachträgliche Bestellung einer Sicherheit ist entgeltlich.
-
3.1 Unmittelbar ist eine Beachteiligung, die ohne Hinzukommen späterer Umstände schon mit der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung selbst eintritt. Maßgeblicher Zeitpunkt dafür ist derjenige der Vollendung der Rechtshandlung. Der Eintritt einer Gläubigerbenachteiligung ist isoliert mit Bezug auf die konkret angefochtene Minderung des Aktivvermögens zu beurteilen. Dabei sind lediglich solche Folgen zu berücksichtigen, die an die anzufechtende Rechtshandlung selbst anknüpfen.
3.2 Im Insolvenzanfechtungsrecht richtet sich die Bewertung, ob die Übertragung eines dinglich belasteten Grundstücks oder seine zusätzliche dingliche Belastung eine Gläubigerbenachteiligung auslöst, unter Berücksichtigung der zur Gläubigeranfechtung nach AnfG geltenden Grundsätze nicht in jedem Fall nach dem durch eine freihändige Veräußerung zu erzielenden Erlös.
3.3 Bei § 133 Abs. 2 InsO (jedenfalls vor Verfahrenseröffnung verwirklichte unmittelbare Gläubigerbenachteiligung) beurteilt sich mangels einer Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters der Eintritt einer Gläubigerbenachteiligung nach dem bei einer Zwangsversteigerung zu erwartenden Erlös, weil der - noch nicht existente - Verwalter im maßgeblichen Zeitpunkt der Rechtshandlung noch nicht freihändig verwerten kann. Anspruch auf den bei einer freihändigen Veräußerung realisierbaren Verkehrswert hätten die Gläubiger nicht gehabt.
Wegen des im Insolvenzanfechtungsrecht geltenden Verbots einer hypothetischen Betrachtungsweise kann der Verkehrswert des Grundstücks nicht aus der Erwägung für maßgeblich erklärt werden, dass ein bereists im Zeipunkt der Eintragung der Sicherungshypothek bestellter Insolvenzverwalter zu einer freihändigen Veräußerung befugt gewesen wäre.
4.1 Der Verwalter ist trotz Fehlens einer entsprechenden Regelung - anders als der die Anfechtung betreibende Gläuiger oder ein Absonderungsgläubiger - allerdings grundsätzlich auch zur freihändigen Veräußerung des belasteten Grundstücks oder grundstücksgleichen Rechts berechtigt.
4.2 Freilich sind bei der Übertragung eines Grundstücks duch die allgemeine Marktlage bedingte Wertsteigerungen, die seit der Vornahme der anfechtbaren Rechtshandlung eingetreten sind, nur dann in die Prüfung einer Gläubigerbenachtiligung einzubeziehen, wenn sich der Anfechtungstatbestand mit einer mittelbaren Gläubigerbenachteiligung begnügt. Setzt der Anfechtungstatbestand - wie § 133 Abs. 2 InsO - eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligugn voraus, sind später eintretende Umstände unbeachtlich.
4.3 Bei der Bewertung, ob sich eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung ereignet hat, ist jedoch der Versteigerungserlös zugrunde zu legen, wenn der Insolvenzverwalter die Zwangsversteigerung des zur Masse gehörenden Grundstücks duldet und folglich an einer freihändigen Veräußerung des belasteten Grundstücks gehindert ist.
4.4 Betreibt ein absonderungsberechtigter Gläubiger die Zwangsversteigerung, kann auf den bei einer freihändigen Veräußerung zu erzielenden Erlös abgestellt werden, wenn der Insolvenzverwalter gemäß § 30d Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 ZVG unter Berufung darauf, dass durch die Versteigerung eine angemessene Verwertung der Insolvenzmasse wesentlich erschwert würde, die Einstellung der Zwangsversteigerung erwirkt und zu einer freihändigen Veräußerung schreitet.
Nimmt der Insolvenzverwalter die rechtliche Möglichkeit, einer Zwangsversteigerung durch absonderungsberechtigte Gläubiger zu begegnen, dagegen nicht wahr, bemisst sich eine Gläubigerbenachteiligung notwendigerweise nach dem konkreten Versteigerungserlös.
- Das OLG wird in Anwendung des § 133 Abs. 1 InsO zu prüfen haben, ob, falls ein Benachteiligungsvorsatz des Schuldners vorliegt, im Blick auf dessen Kenntnis auf Seiten der Beklagten das Beweisanzeichen der erkannten Zahlungsunfähigkeit oder das Beweisanzeichen der Inkongruenz eingreift. Im Blick auf Kenntnisse der Beklagten von der finanziellen Lage des Schuldners könnte ihre Nähe zu dem Schuldner indizielle Bedeutung haben.
Urteil im Volltext herunterladen: Download PDF